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GESUNDHEITSMAGAZIN

55

S

ie gilt als einer der Hoffnungsträger im

Kampf gegenKrebs – die Immunthera-

pie. Sie geht einen völlig neuen Weg:

Nicht der Tumor selbst wird behandelt, son-

dern das Immunsystem des Patienten wird

wieder gegen den Tumor gerichtet. „Es wird

mittels Antikörpern so aktiviert, dass es die

Krebszellen erkennen und daher auch be-

kämpfen kann“, erklärt Matthias Preusser,

Leiter der Klinischen Abteilung für Onkolo-

gie an der Med-Uni Wien. Bei vielen Erkran-

kungen erledigt das Immunsystemdiese Auf-

gabe bravourös:

Sobald Eindringlinge

identifiziert werden, fährt das System hoch

und bekämpft sie. Ist die Gefahr für den Kör-

per vorbei, fährt das Immunsystem seine Ak-

tivität wieder herunter.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die soge-

nannten T-Zellen, die zur Gruppe der weißen

Blutkörperchen gehören. Sie aktivieren das

nachgeschaltete Immunsystem oder können

Eindringlinge auch direkt vernichten. Ein-

und ausgeschaltet werden die T-Zellen mit-

tels verschiedener Eiweißrezeptoren

(„Checkpoints“), die in der Regel auf der

Oberfläche der T-Zellen ausgebildet werden.

„Dazu gehören beispielsweise die Proteine

CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen

4) und PD-1 (programmed cell death 1)“, sagt

Preusser. Weil aber die Tumorzellen „vif“

seien, würden auch sie sich dieses Mechanis-

mus bedienen und sich gleichsam eine Tarn-

kappe in Gestalt von Proteinen aufsetzen.

Für die Erkenntnis, dass Krebszellen dem

Immunsystem aktiv entgehen können und so

vermeiden, abgetötet zu werden, haben die

beiden Forscher James P. Allison (USA) und

Tasuku Honjo (Japan) übrigens im Vorjahr

den Nobelpreis für Medizin erhalten.

Ziel der Immuntherapie sei es, mittels soge-

nannter Checkpoint-Inhibitoren den Krebs-

zellen die Tarnkappe herunterzureißen und

dadurch die Aktivierung der T-Zellen zu er-

möglichen, erklärt Preusser. Das Immunsys-

tem beginne somit wieder zu arbeiten und

aktiv die nun sichtbaren Tumorzellen zu be-

kämpfen. Ein anderer Ansatz, besonders bei

Blut- und Lymphdrüsenkrebs die körper-

eigenen Abwehrkräfte in Stellung zu bringen,

ist die adoptive T-Zell-Therapie. Dabei wer-

den T-Zellen aus dem Körper des Patienten

entnommen und mit Tumor-spezifischen

chimären T-Zellrezeptoren ausgestattet (so-

genannte CAR-T-Zellen). Danach werden

die mit Proteinen versetzten Zellen wieder

dem Patienten zurückgegeben und erkennen

bei ihm die Zielstruktur auf den Krebszellen.

BEI VIELEN KREBSARTEN WIRKSAM.

„Wir haben somit neben Operation, Chemo-

und Strahlentherapie sowie den gezielten

Therapieformen mit der Immuntherapie

eine weitere wertvolle Therapiesäule“, sagt

DominikWolf, Leiter der Uniklinik für Inne-

re Medizin V (Hämatologie & Onkologie) in

Innsbruck. Wurde die Immuntherapie, die

teils als Monotherapie, teils in Kombination

mit anderen Therapieformen angewendet

wird, erstmals für die Behandlung von

schwarzem Hautkrebs (Melanom) zugelas-

sen, wird sie mittlerweile auch bei vielen an-

deren Krebsarten eingesetzt. Gute Erfolge –

bis zur Remission des Tumors – gibt es bei

bestimmten Gruppen von Brust- und Darm-

krebs sowie bei Blasen- und Nierenkrebs.

Auch Tumore im Hals-Nasen-Ohren-Be-

reich und fast jede Art von Lungenkrebs kann

den Experten zufolge mittels Antikörpern

sehr gut behandelt werden. Beim besonders

gefährlichen kleinzelligen Lungenkrebs, der

etwa 15 Prozent der Bronchuskarzinome

ausmacht, stellt die Kombination von Che-

mo- und Immuntherapie überhaupt zum ers-

ten Mal seit 30 Jahren eine neue Therapie-

option dar. „Diesen Patienten haben wir 30

Jahre lang nur eine Chemotherapie verabrei-

chen können. Jetzt geben wir diesen Patien-

ten imStadium4 zur Chemotherapie zusätz-

lich eine Immuntherapie und können somit

das Gesamtüberleben verlängern. Das ist ein

enormer Fortschritt“, so der onkologische

Pneumologe Maximilian Hochmair vom

SMZ Baumgartner Höhe – OttoWagner Spi-

tal in Wien.

EINSATZ SCHON IN FRÜHEREN STADIEN

.

Lange Zeit ist die Immuntherapie primär bei

metastasierten Tumoren, meist im palliati-

ven Stadium, zum Einsatz gekommen. „Wir

Nicht der Tumor

selbst wird behandelt,

sondern das Immun-

system des Patienten

wird wieder gegen den

Tumor gerichtet.

IMMUNTHERAPIE

Onkologie

haben aber gelernt, dass es sinnvoll ist, sie

auch schon früher einzusetzen, etwa gleich

nach einer Operation“, sagt Preusser. Beim

Melanom etwa habe sich dadurch das Rück-

fallrisiko deutlich reduziert. Auch vor dem

chirurgischen Eingriff wird sie zunehmend

angewendet. „Bei der Operation ist dann

deutlich erkennbar, dass Krebszellen zer-

stört wurden“, sagt Preusser.

Doch neben den Erfolgen zeigen sich immer

wieder Limitationen. So sind die Nebenwir-

kungen zwar geringer als bei einer Strahlen-

oder Chemotherapie, aber nicht ganz unge-

fährlich. „Weil das Immunsystem aktiviert

wird, kommt es immer wieder zu Entzün-

dungen – beispielsweise der Lunge, der Le-

ber oder auch des Darms“, sagt Wolf. Diese

könnten jedoch in der Regel mit Kortison gut

behandelt werden. Ein anderer Wermuts-

tropfen ist, dass die Immuntherapie nur bei

manchen Tumor-Subgruppen wirkt. Bei-

spielsweise sprechen Hirn- und Bauchspei-

cheldrüsentumore zumindest derzeit auf die

Behandlung nicht an. „Weitere Forschungs-

arbeiten könnten helfen, durch neue Thera-

pien das Immunsystem auch bei diesen Tu-

moren zu aktivieren“, sagt Preusser.

KREBSZELLEN SICHTBAR MACHEN.

Ein

anderer Forschungsfokus liegt in einem ver-

besserten Verständnis der oft unzureichen-

den Wirkung bei Patienten, da die Immun-

therapie allein nur bei zwei bis drei von zehn

Patienten wirklich erfolgreich ist. „Und zwar

bei jenen, bei denen die Tumor-Erbsubstanz

durch viele genetische Fehler so stark verän-

dert ist, dass in der Folge eine Vielzahl ver-

änderter Eiweiße entstehen. Diese veränder-

ten Eiweiße, beziehungsweise Bruchstücke

davon, werden durch das Immunsystem er-

kannt, wodurch die Krebszellen grundsätz-

lich gut angreifbar wären. Weiß Wolf. „Im-

mun-Checkpoints wie PD-1/PD-L1 legen

dann aber ein Veto ein, welches die Erken-

nung und Elimination der Krebszellen ver-

hindert. Ein Ansatz ist, neue Antigene durch

eine Chemo- oder Strahlentherapie neu zu

erzeugen, um die Immuntherapie durch eine

verbesserte Sichtbarkeit der Krebszellen er-

folgreicher zu machen“, beschreibt der Ex-

perte den Therapieansatz. Um die Immun-

therapieweiter zuverbessern, wird außerdem

die Umgebung des Tumors unter die Lupe

genommen. „Wir wollen den Zusammenhang

zwischen Bindegewebs-, Gefäß- und Im-