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GESUNDHEITSMAGAZIN

13

D

as kennt jeder: Es juckt, man kratzt

sich, und damit hat sich die Sache

auch schon wieder erledigt. Unange-

nehmwird es höchstens dann, wenn der Juck-

reiz an einer Stelle auftritt, wo man nicht so

leicht hingelangt. In der Situation lässt sich

erahnen, wie schlimm es sein muss, wenn es

dauernd juckt und das Kratzen so gut wie gar

nichts nützt, sondern im Gegenteil das Ju-

cken sogar noch extrem verstärkt. Darunter

leiden zehn Prozent der Kinder und Jugend-

lichen und drei bis sechs Prozent der Erwach-

senen. So groß ist der Anteil derMenschen in

westlichen Industrieländern, die an Neuro-

dermitis erkrankt sind. Wobei die Zahl der

Neurodermitiker zuletzt stetig zunahm und

das Leiden, das auch atopische Dermatitis,

atopisches Ekzemoder endogenes Ekzemge-

nannt wird, bei Kindern heute die bei weitem

häufigste Hautkrankheit ist.

FAMILIÄR GEHÄUFT.

Warum das so ist,

hängt mit den Ursachen und Auslösern der

chronisch-entzündlichen Hautkrankheit zu-

sammen. Beatrix Volc-Platzer, Leiterin der

Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Der-

matologie der Österreichischen Gesellschaft

für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV)

sowie Hautärztin in Wien, über die bisher

bekannten: „Neurodermitis tritt familiär ge-

häuft auf“, erklärt sie. Die Gene spielen also

eine Rolle bei der zunehmenden Verbrei-

tung, und zwar eine wesentliche. So hat ein

Kind, dessen Mutter oder Vater Neuroder-

mitiker ist, ein um40 Prozent höheres Risiko

zu erkranken, als andere Kinder. Und sind

beide Elternteile Neurodermitiker, ist dieses

Risiko sogar um 70 Prozent höher. Die Er-

krankung, die vomHautarzt durch die Begut-

achtung der Haut diagnostiziert wird, geht

aber nicht nur auf Gene zurück, genauer: Ein

genetisch bedingt fehlgeleitetes Immunsys-

tem und genetisch bedingte Störungen der

Barrierefunktion der Haut. Als Auslöser der

Krankheit spielen auch Umweltfaktoren eine

Rolle wie die Luftverschmutzung oder Aller-

gene in Luft oder Nahrung. Stress tut sein

Übriges: Und zwar dann, wenn die Krankheit

erstmals auftritt, was meist im ersten Le-

bensjahr der Fall ist, aber auch, wenn sie

nach ihremVerschwinden, zu dem es oft nach

einigenMonaten oder Jahren kommt, imEr-

wachsenenalter neuerlich aufflammt und

schubweise immer wiederkehrt.

Nur wie entscheidend ist Stress, wie bedeu-

tend sind Umweltbedingungen und wie wich-

tig die Gene, wenn es um die Fragen geht,

warum jemand an Neurodermitis erkrankt

und warum es zum Wiederaufflammen, zu

Schüben, kommt? Welche Faktoren diesbe-

züglich im Vordergrund stehen, ist Gegen-

stand aktueller Forschungen. Diese zielen

darauf ab, die Ursachen für den Ausbruch der

Krankheit und die Auslöser der Schübe ge-

nauer, als das bisher möglich war, festzuma-

chen, um daran ansetzen und Erkrankte bald

besser als derzeit behandeln zu können.

IMMUNSYSTEM REGULIEREN.

Wie weit

die Wissenschaft ist, weiß Stefan Wöhrl, Vor-

standsmitglied der Österreichischen Gesell-

schaft für Dermatologie und Venerologie so-

wie Facharzt für Dermatologie und

Venerologie am Allergiezentrum in Wien-

Floridsdorf. „Während vor zehn Jahren auf-

grund der Entdeckung einer bestimmtenMu-

tation im sogenannten Filaggrin-Gen noch

angenommen wurde, dass die Störung der

Barrierefunktion der Haut die Hauptursache

für Neurodermitis ist, hat sich dies jetzt geän-

dert“, sagt er und ergänzt: „Derzeit wird wie

übrigens früher schon einmal eine Fehlfunk-

tion des Immunsystems als hauptsächlicher

Grund für die Erkrankung angenommen, wes-

wegen sich die Forschung darauf konzent-

riert.“ Zu demWandel kames, weil in den ver-

gangenen Jahren die Erfahrung gemacht

wurde, dass sich der Hautzustand der Er-

krankten deutlich verbessert, wenn das Im-

munsystem an sehr speziellen Stellen regu-

liert wird: Dies geschieht über Substanzen in

Antikörpern, Biologika genannt, sowie mit

speziell designtenMolekülen, „smart molecu-

les“. Auch, welchen Einfluss das Mikrobiom,

also die Bakteriengemeinschaft auf der Haut-

oberfläche, auf die Entstehung vonNeuroder-

mitis hat und wie bedeutend die psychosoma-

tische Komponente ist, konkret, welchen

Einfluss zum Beispiel Stress, depressive Ver-

stimmungen, Ängste oder auch diverse kör-

perliche Erkrankungen auf Neurodermitis

und speziell auf den Juckreiz haben, wird

untersucht. „Bisher ist man da zwar noch zu

keinem Ergebnis gekommen, das in irgendei-

ner Form verwertbar wäre, aber in Zukunft ist

einiges zu erwarten, das auch Einfluss auf die

Therapie haben wird“, meint Wöhrl. So wird

die künftige Behandlung von Neurodermitis

vor allem bei stärkeren Ausprägungen der

Krankheit wohl angepasst an das jeweilige

Was Kindern und Eltern sonst noch hilft:

Weil das Kratzen die neurodermitisbedingte

Hautentzündung verschlimmert und zu

Hautschäden führt, sollte es vermieden

werden. Bei kleinen Kindern gelingt dies zum

Beispiel, indem man ihnen Baumwollfäustlin-

ge anzieht. Größere können dazu angehalten

werden, statt sich zu kratzen, etwa einen

Igelball über die juckende Stelle zu rollen oder

einen Coolpack auf die Stelle zu legen. Des

Weiteren hilfreich ist es, kalt zu duschen und

Cremen und Salben zu kühlen, bevor sie

aufgetragen werden. Bei der Kleidung sollte

darauf geachtet werden, dass sie nicht zu

warm ist, denn Schwitzen belastet die Haut

von Neurodermitikern und führt zur Ver-

schlimmerung der Beschwerden. Außerdem

sollte das Gewand nicht aus tierischer Wolle

bestehen, da diese die Haut von Erkrankten

meist reizt, sondern aus Baumwolle, Leinen

oder Seide. Tipps wie diese und Maßnahmen,

die dazu dienen, individuelle Stressfaktoren

zu identifizieren und auszuschalten, werden

in speziellen Neurodermitisschulungen

vermittelt, die sich an Eltern von Kindern mit

Neurodermitis richten. Näheres dazu zum

Beispiel auf:

http://www.neurodermitis-schulung.at

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